Traum

 

 

 

 

 

 

               

 

 

DIE ZEIT

Erwache, schöne Schläferin,

Falls dieser Kuß nicht zu bestrafen:

Doch wenn ich dir zu zärtlich bin;

Schlaf, oder scheine mir zu schlafen.

Die Unschuld, die nur halb erwacht,

Wann Lieb und Wollust sie erregen,

Hat öfters manchen Traum vollbracht,

Den Spröde sich zu wünschen pflegen.

Was du empfindest, ist ein Traum:

Doch kann ein Traum so schön betrügen?

Gibst du der Liebe selbst nicht Raum:

So laß dich dann ihr Bild vergnügen.

Friedrich von Hagedorn (1708-1754)

 

 

Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.
 
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
 
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff

 

 

 

Auf Flügeln des Gesanges,
Herzliebchen, trag ich dich fort,
Fort nach den Fluren des Ganges,
Dort weiß ich den schönsten Ort.
 
Dort liegt ein rotblühender Garten
Im stillen Mondenschein;
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schwesterlein.
 
Die Veilchen kichern und kosen,
Und schaun nach den Sternen empor;
Heimlich erzählen die Rosen
Sich duftende Märchen ins Ohr.
 
Es hüpfen herbei und lauschen
Die frommen, klugen Gazelln;
Und in der Ferne rauschen
Des heiligen Stromes Welln.
 
Dort wollen wir niedersinken
Unter dem Palmenbaum,
Und Liebe und Ruhe trinken,
Und träumen seligen Traum.

Heinrich Heine

 

 

Doch heimlich dürsten wir ...

Anmutig, geistig, arabeskenzart
Scheint unser Leben sich wie das von Feen
In sanften Tänzen um das Nichts zu drehen,
Dem wir geopfert Sein und Gegenwart.
 
Schönheit der Träume, holde Spielerei,
So hingehaucht, so reinlich abgestimmt,
Tief unter deiner heiteren Fläche glimmt
Sehnsucht nach Nacht, nach Blut, nach Barbarei.
 
Im Leeren dreht sich , ohne Zwang und Not,
Frei unser Leben, stets zum Spiel bereit,
Doch heimlich dürsten wir nach Wirklichkeit,
Nach Zeugung und Geburt, nach Leid und Tod.
 
Hermann Hesse

 

 

   
Das Göttliche   
 
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.
 
Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen!
Ihnen gleiche der Mensch!  
Sein Beispiel lehr uns
Jene glauben.
 
Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Über Bös und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.
 
Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Und ergreifen
Vorüber eilend
Einen um den andern.
 
Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Faßt bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.
 
Nach ewigen, ehrnen,
Großen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.
 
Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche:
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.
 
Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten,
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.
 
Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Täten im Großen,
Was der Beste im kleinen
Tut oder möchte.
 
Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!

Johann Wolfgang Goethe

 

 

   

Aber wir sind doch...
(aus: Wandloser Raum, Gedichte, 1979, Luchterhand)

Aber wir sind doch
Kinder der Erde -
wissen wirs nicht?

Zugehörig dem Ursprung,
dürften uns
dessen Bestimmungen

fremd nicht sein.
Doch entsetzlich
aufgespalten scheint

der Anfang der Anfänge selbst

Ernst Meister

 

 

 

Ich geh durch die dunklen Gassen

 

Ich geh durch die dunklen Gassen

Und wandre von Haus zu Haus,

Ich kann mich noch immer nicht fassen,

Sieht alles so trübe aus.

 

Da gehen viel Männer und Frauen,

Die alle so lustig sehn,

Die fahren und lachen und bauen,

Daß mir die Sinne vergehn.

 

Oft wenn ich bläuliche Streifen

Seh über die Dächer fliehn,

Sonnenschein draußen schweifen,

Wolken am Himmel ziehn:

 

Da treten mitten im Scherze

Die Tränen ins Auge mir,

Denn die mich lieben von Herzen

Sind alle so weit von hier.

 

Glück und Traum

Du hast uns oft im Traum gesehen

Zusammen zum Altare gehen,

Und dich als Frau und mich als Mann.

Oft nahm ich wachend deinem Munde,

In einer unbewachten Stunde,

Soviel man Küsse nehmen kann.

 

Das reinste Glück, das wir empfunden,

Die Wollust mancher reichen Stunden

Floh wie die Zeit mit dem Genuß.

Was hilft es mir, daß ich genieße?

Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse,

Und alle Freude wie ein Kuß.

Johann Wolfgang von Goethe

 

 

 

 

 

 

    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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